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TTIP – Der ACTA-Zombie ist auferstanden

Von Bruno Kramm.

Hallo Braunschweig,

Als vor ungefähr eineinhalb Jahren erste Informationen zu TAFTA bekannt wurden – das nun heute aus Werbegründen TTIP heißt – ging es in erster Linie um die sogenannten »nicht tariffären Handelshemmnisse«. Ein wohlklingendes Wort hinter dem sich damals schon viel zu verbergen schien. Als die Öffentlichkeit dann von Chlorhühnchen erfuhr, fragte ich mich vor Allem, warum diese Hühnchen in einem Chlorbad desinfiziert werden müssen. Das tu ich ja auch regelmäßig, wenn ich ins überchlorte Schwimmbad gehe.

Dieser Text ist das Transscript der Rede von Bruno Kramm auf der TTIP-Demo in Braunschweig am 15. März 2014

Heute ist TTIP zu einer dystopischen Vision gewachsen. Ihre Handlungsreisenden sind EU-Kommissare und Botschafter wie Almeida, Bercero und Martins, die im Schulterschluss mit großen Verbänden und Konzernen eine feudal-kolonialistische Weltsicht vertreten und Bürgerrechte, ja sogar Menschenrechte für lukrative Deals opfern.

Heute wissen wir: Der ACTA Zombie ist auferstanden. Es ist erstarkt und ihm sind dort, wo wir ihm vor zwei Jahren den Kopf abgeschlagen haben, wie der antiken Hydra neue Köpfe gewachsen: Sie heißen TTIP, CETA und TISA.

Dabei ist das, was sich bruchstückhaft eröffnet, weit tiefgreifender als all jene Abkommen der Vergangenheit. Es mag daran liegen, dass Konzerne die Welt längst global vermessen und strategische und geopolitische Interessen im heraufziehenden kalten Krieg des Handels in einer »Trade NATO« vereinen. Die Gegenspieler sind längst ausgemacht: China, Russland und ein erstarkendes Afrika. Hinter verschlossenen Türen werden die Forderungen rücksichtslos ausgesprochen.

Von der so gewünschten Teilhabe der Bürger in den USA und Europa ist nichts übrig geblieben.

Umso tragischer – denn die Kinder der 80er Friedensbewegung, der Perestroika und der Wende hatten im Netz ihr friedliches, globales und grenzenloses Heil entdeckt, das auf Transparenz, Mitbestimmung und Teilhabe baut und als Blaupause für ein gleichberechtigtes Miteinander die globalen Probleme in einer postmateriellen Vision zu lösen suchte.

Ihr Slogan »Grenzen sind so 80er« wird von den der grauen Eminenz der EU Kommission anders aufgefasst. Sie lässt uns wie Michael Endes Momo mit staunenden Augen zurück.

Sie teilen die Welt in Blöcke der Handelsherrschaft auf, in der Konzerninteressen über dem Menschen stehen. Sie hebeln durch eine intransparente Investorenschutz-Schiedsgerichtsbarkeit die Demokratie aus und machen Staaten zu wehrlosen Spekulations- und Klageobjekten. Dabei ist dieses Klagerecht ein Relikt des letzten Jahrhunderts, die Protektion für Firmen in Schwellenländern, Despotenstaaten und Krisenregionen. Heute ist es längst der Erpressungshebel, die Daumenschraube gegen gesellschaftlich gewachsene Standards, Daseinsfürsorge und sogar soziale Gesellschaftsverträge wie Mindestlohn und Streikrecht.

Dem nicht genug: Mit dem Wortungetüm »regulatorische Kohärenz« setzt man die demokratisch gewählten Gesetzesgeber vor die Türe und hängt sie als Marionetten an die Fäden der eigenen Konzernstrategien. Verbände und Konzerne schreiben Gesetze lange bevor sie in den Parlamenten verhandelt werden. Die EU Kommission hat uns, die Bürger, verkauft. So fallen die letzten demokratischen Bastionen einem ungehemmten Neoliberalismus zum Opfer, der da heißt: Zuerst der Markt, dann der Mensch. Der Mensch ist nur existent als Konsument. TTIP ist der Zangengriff gegen die Demokratie.

So traurig es klingen mag: Sogar die grüne Opposition hat sich von TTIP kaufen lassen, wenn ihre wirtschaftsliberalen Sprecher jetzt einen TTIP-Neustart fordern und ihn mit gemeinsamen ökologischen Standards verkaufen. Als hätte jemals ein Handelsabkommen das Weltklima verbessert, als wären jemals soziale Standards besser geworden. Oder kann sich jemand erinnern, wie durch Handelsabkommen die Arbeits- und Umweltbedingungen in Bangladesh besser geworden wären?

Neuerdings heuchelt die EU Kommission: »Wir haben verstanden, wir hören Euch zu, es wird keine Chlorhühnchen geben« – das ist alles Teil einer Promotionstrategie. Nicht nur, dass Bürger keinerlei Mandat haben. NGOs sind stille Beobachter in einem machtlosen Advisory Commitee, das nur Placebo-Dokumente zu sehen bekommt und zu großen Teilen sogar von Wirtschaftsverbänden besetzt ist. Die Bundesregierung nutzt ihre wirtschaftliche Macht in Europa um Kritik und Protest in den europäischen Mitgliedsstaaten zu drosseln und hat bereits im Koalitionsvertrag TTIP abgenickt, egal was darin enthalten ist. Jede jetzt zur Schau getragene Empörung ist Teil einer einstudierten Choreographie der dosierten Empörung, während im Hintergrund die Weichen zur Ratifizierung von TTIP, CETA und TISA gestellt werden.

Doch dem nicht genug: Neueste Leaks lassen uns noch tiefer in den Rachen der Medusa blicken. Der Odem des Monsters vergiftet nicht nur Verbraucherschutzstandards und ökologische Richtlinien. Das Internet wird mit TTIP zum Umschlagplatz, zur legalen Hehlerstube für private Daten. Die informationelle Selbstbestimmung und der Datenschutz werden über den Haufen geworfen. Und auch hier hatte die EU-Kommission bereits selbst Hand angelegt, um das Freihandelsabkommen besonders schnell durchzuschieben. Der Datenschutz wurde im Handstreich aus den Verhandlungen genommen. Die lapidare Erklärung, man würde sonst zu keiner Lösung finden, offenbart den infamen Verrat an den eigenen Bürgern. Wenn private Daten im freien Fall amerikanischen Konzernen zufallen, wenn dem freien Datenfluss aus der Privatsphäre immer Vorfahrt gewährt wird, dann setzt die EU das heftig kritisierte Abkommen des E-Commerce Kapitels von TPP eins zu eins um.

Das bedeutet: Absolute Freiheit und Selbstbestimmung von Konzernen wie Google, Apple und Facebook über die Daten ihrer Benutzer. Verkehrs-, Verbindungs- und Bankdaten werden zur freien Handelsware in den vereinigten Staaten. Egal ob Schufa-Auskunft, Bewegungs- und Nutzerprofile oder Surfgewohnheiten: Die von amerikanischen Konzernen gesammelten Daten müssen dann sogar in den USA verbindlich gespeichert werden. Eine globale Vorratsdatenspeicherung könnte nicht lückenloser sein. Würde man der Spionage Schuldige in Europa suchen, man könnte die ganze EU Kommission auf die Anklagebank setzen, so tiefgreifend ist der Verrat unserer digitalen Privatsphäre in TTIP.

So kann ich auch nur wiederholen: Im digitalen Zeitalter, in dem Handel und Kommunikation zu 100% im Netz stattfinden, kann es mit der NSA-Nation kein Freihandelsabkommen ohne restriktive Datenschutzrichtlinien geben, denn die Privatsphäre wird mit TTIP zur Sammelstelle für digitale Doppelgänger, das Damokelsschwert das dann über jedem von uns droht, uns in der Meinungsäusserung einschüchtert, bis irgendwann das letzte bisschen Opposition im Keim erstickt ist.

Doch dem nicht genug: Die Durchsetzung von Urheberrechten und Copyright sind zwar laut EU fast gar nicht im Verhandlungsmandat. Doch interne Memos belegen, dass auch hier unter Hochdruck gearbeitet wird. Im Windschatten der künstlich befeuerten Chlorhühnchendebatte haben Warner, Disney und Konsorten längst ihre Weihnachtswunschliste zusammengestellt. So könnten viele bisher zivilrechtlich behandelte Verstöße gegen das Urheberrecht mit TTIP strafrechtlich geahndet werden. Die amerikanische Kommission gegen den Diebstahl geistigen Eigentum fordert mit vielen Kongressabgeordneten den Einsatz von Trojanern, Rootkits und Malware auf den Rechnern der Internetnutzer, um dann jeden noch so kleinen Verstoß unmittelbar zu melden und zu ahnden. Orwells Totalüberwachung der Privatsphäre kennt keine Grenze!

So rufen wir laut:

Kein TTIP, kein CETA und kein TISA ohne breite Bürgerbeteiligung und Offenlegung aller Akten!

Schluss mit bilateralen Sonderwegen in einer Welt, deren Probleme nur global gelöst werden können!

Schluss mit Hinterzimmerpolitik, wenn die digitale Revolution alle Menschen einbeziehen könnte!

Stoppt TTIP, CETA und TISA!

Zuerst der Mensch – dann der Markt!