Aktuell Allgemein Slider

Ist Jesus gegen Legalisierung von Cannabis?

Der CDU Bundestagsabgeordnete Jens Spahn hat in der Huffington Post in einem Gastbeitrag seine „Argumente“ gegen eine Regulierung von Cannabis dargelegt und argumentiert sogar mit Jesus. Unser Drogenbeauftragter Andreas Gerhold ist aus solchen Diskussionen einiges gewohnt. Dieser Beitrag hat ihn aber so geärgert, dass er dem MdB Spahn direkt und öffentlich antwortet:

Lieber Jens Spahn,

auch wenn ich politisch häufig nicht mit Ihnen übereinstimme, habe ich Sie – bis heute – doch für einen mindestens durchschnittlich intelligenten Menschen gehalten.

Ihr Gastbeitrag [1] in der Huffington Post vom 02.06.2015 zu Cannabislegalisierung lässt mich daran aber zweifeln. Die „Argumente“ die Sie dort gegen eine Legalisierung anbringen, lassen nur den Schluss zu, dass Sie entweder viel dümmer sind, als man bisher annehmen musste, oder, was noch schlimmer wäre, Menschen bewusst schaden möchten!

Gehen wir das doch mal durch:

„Regelmäßig grüßt das Murmeltier – auch bei der Diskussion um die Freigabe von Cannabis immer wieder aufs Neue. Kein Argument bleibt unbemüht, um für die Legalisierung des Kiffens und des Vertriebs von Cannabis in Deutschland zu werben.“

Richtig, täglich grüßt das Murmeltier und kein noch so absurdes Argument bleibt unbemüht um erwachsenen Menschen ihre Eigenverantwortung abzusprechen und sie zu kriminalisieren.

„Manche sagen, Cannabis wäre gesund oder mache zumindest glücklich.“

Nein, so sagt das eigentlich niemand. Aber bei bestimmten Indikationen ist Cannabis das wirksamste und nebenwirkungsärmste Medikament, also quasi gesund, zumindest gesünder als viele akzeptierte Alternativen.

Ob man die Befriedigung eines Grundbedürfnisses, hier das nach Rausch, als Glück bezeichnen möchte, ist eine philosophische Frage. Wenn man aber sagen möchte, dass z.B. ein gutes Essen glücklich macht, kann man das auch von einem guten Rausch behaupten. Allerdings ist nicht alles, was glücklich macht, perse gesund oder ungefährlich, auch das gute Essen nicht.

„Andere bemühen sich nun sogar um wirtschaftspolitische Argumente und sehen Einnahmemöglichkeiten für den Staat. Dabei ist klar: Gesundheitsschutz geht vor Steuerreinnahmen.“

Wenn das so einfach wäre und der Staat diesem Grundsatz konsequent folgen würde, wären Tabak, Alkohol und vieles andere ebenfalls verboten. Stattdessen generiert der Staat für die Drogen Alkohol, Nikotin und Kaffee rund 18 Milliarden EURO (2012: 18,8 Milliarden). Steuereinnahmen, die in den allgemeinen Haushalt wandern und nur zu einem verschwindend geringem Teil für Prävention und Therapie genutzt werden.

Die zu erwartenden Steuereinnahmen durch Cannabis liegen bei etwa 1,5-2 Milliarden EURO, sind also, wenn auch eine ganz erhebliche Summe, vergleichsweise gering. Zuzurechnen sind die eingesparten Repressionskosten von etwa 1,6 – 3 Milliarden EURO. Mit einer Cannabislegalisierung ständen also etwa 3-5 Milliarden Euro mehr für Prävention, Jugendschutz und Therapien zur Verfügung. Wenn Sie sich also ehrlich um die Gesundheit der Menschen sorgen würden, würden Sie dieses Argument nicht so leichtfertig und dummdreist vom Tisch wischen.

„Mit der Begründung höherer Steuereinnahmen könnte man auch Heroin oder Menschenhandel legalisieren, das ist völlig abwegig. Im Vordergrund muss der Schutz der Gesundheit stehen und mögliche Gefahren durchs Kiffen stehen.“

Ja, auch über die Legaliserung von Heroin muss man diskutieren und das Beispiel Portugal zeigt, dass dies der richige Weg sein kann. Der Vergleich mit Menschenhandel ist dermaßen irrsinnig, dass ich es kaum fassen kann. Das ist eine dermaßen üble Diskreditierung, dass sich eigentlich allein damit jegliche Diskussion mit Ihnen verbietet.

Trotzdem: Gerade christliche Politiker ziehen das dumme Totschlagargument immer dann heran, wenn es darum geht Freiheit von Bürgern zu beschneiden. Siehe Prostituiertenüberwachungsgesetz. Gleichzeitig wird Menschenhandel von genau diesen Politikern dort ignoriert, wo es scheinbar nutzt. So gehen genau diese Politiker nicht konsequent gegen Menschenhandel vor, wo er hier in Deutschland tatsächlich vorkommt. Da wir zu wenig Arbeitskräfte in der Pflege haben (weil wir sie nicht angemessen bezahlen wollen), akzeptieren wir stillschweigend, dass hier Sklaven aus dem Ausland zum Einsatz kommen und verfolgen dies nicht nach Kräften. Genauso im Baugewerbe. Von Missständen in der Kinder- und Jugendhilfe, bis hin zum staatlich geförderten Handel mit Kindern, will ich gar nicht erst anfangen.

Der Zusammenhang ist aber, wie Sie mit Sicherheit wissen, genau umgekehrt, wie uns erst kürzlich der Bund deutscher Kriminalbeamter deutlich gemacht hat: 95% der Ressourcen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität werden für die Bekämpfung des Drogenhandels (vor allem Cannabis) verwendet, wodurch es nicht mehr möglich ist die organisierte Kriminalität im Bereich Menschenhandel oder Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen.

„Natürlich kann Cannabis Schmerzpatienten helfen, unerträgliche Schmerzen erträglicher zu machen. Das haben wir auch ermöglicht. Cannabis als Medikament und bald auch als Naturalhanf in der Apotheke für Patienten ist aber etwas anderes als Cannabis als Rauschdroge.“

Das was hier bisher an Möglichkeiten geschaffen wurde ist ein Witz! Die allermeisten Patienten, nicht nur Schmerzpatienten, die eigentlich auf dieses Medikament angewiesen sind, bekommen entweder kein Rezept oder können sich das Medikament nicht leisten, weil es a) durch Restriktion künstlich verteuert wird und b) die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen. Der Selbstanbau muss, mangels allgemeingültiger gesetzlicher Regelungen, von Patienten einzeln gerichtlich erstritten werden und ist meist mit praktisch nicht zu leistenden Auflagen verbunden. So gefährden Sie die Gesundheit von Patienten!

„Wer die Folgen von regelmäßigem Cannabis-Konsum relativiert, ist auf einem gefährlichen Holzweg. Regelmäßiges Kiffen hat fatale Auswirkungen auf die körperliche und geistige Entwicklung junger Menschen.“

Wer regelmäßigen den Konsum von Cannabis dramatisiert, verhindert wirksame Aufklärung und gefährdet die Gesundheit, vor allem junger Menschen. Wer die Ablehnung der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene mit den Gefahren für Jugendliche begründet, hat offenbar kein Interesse an einem ehrlichen Diskurs.

„Die Zahl von Cannabis-Abhängigen, die auf einen Entzugsplatz warten, wächst stetig und der Konsum illegaler Drogen insgesamt steigt seit Jahren wieder an.“

Also, weil das Verbot und die Verfolgung von Konsumenten nicht dazu geführt hat die Zahl der Konsumenten zu verringern, müssen wir damit erfolglos weitermachen?? Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die Erfolge in der Prävention legaler Drogen belegen dies.

„Nicht jeder, der kifft, kokst später. Aber fast jeder der kokst, hat vorher gekifft. Cannabis ist also für zu viele auch eine Einstiegsdroge.“

Wie blöd muss man eigentlich sein um so etwas ernsthaft zu behaupten? Unfassbar! Setzen wir statt Kiffen doch mal Beliebiges, z.B. Butterbrote, ein:

>> Nicht jeder der Butterbrote isst, kokst später. Aber fast jeder der kokst hat vorher Butterbrote gegessen. Butterbrote sind also für viele eine Einstiegsdroge.<<

Statt Butterbroten kann man natürlich auch Coffeein, Alkohol oder Nikotin einsetzen. Der Satz stimmt scheinbar immer. In Wahrheit stimmt er natürlich nie. Das Konzept der Einstiegsdroge ist wissenschaftlich nicht haltbar. Aber wenn man tatasächlich so argumentieren möchte, dann ist Zucker für fast alle Menschen die erste psychaktive Substanz die konsumiert wurde. Damit macht fast jeder Mensch die erste Rauscherfahrung schon als Kleinkind. Wenn also so etwas wie eine Einstiegsdroge angenommen werden soll, dann ist es Zucker für alle weiteren Drogen, für Nikotin, Alkohol, Coffeein, Heroin und alle die wir kennen und die Menschen konsumieren.

"Auch der Vergleich mit Alkohol geht in die falsche Richtung. Der Umgang mit Alkohol ist seit Jahrhunderten kulturell eingeübt."

Ich wusste gar nicht, dass Sie schon so alt sind, dass Sie schon seit Jahrhunderten das Saufen üben. Im Ernst: Cannabis nutzt die Menscheit seit Jahrtausenden, sicher länger als Alkohol. Meine Oma wollte mir zunächst nicht glauben, dass das was ich da rauche das mordsgefährlich "Haschzeug" sein soll: "Das ist Knaster, das hat schon mein Großvater (also mein Ur-Ur-Großvater!) geraucht."

"Wer kann sich schon ein Schützenfest ohne Bier, Neujahr ohne ein Glas Sekt oder auf der anderen Seite einen Joint in der Opernpause vorstellen?"

Ich! Und nicht nur vorstellen, ich habe bereits in der Opernpause gekifft, genauso wie ich schon Silvester ohne Drogen, auch ohne Alkohol, gefeiert habe. Und nu?

"Und überhaupt: Jesus hat damals schließlich Wasser in Wein verwandelt und nicht trockenes Gras in schwarzen Afghanen."

Und überhaupt: Jetzt wollen sie nicht nur bestimmen wie sich Erwachsene zu berauschen haben, jetzt wollen Sie uns noch Ihre Religion aufzwingen?? Und wenn Sie schon mit Jesus argumentieren: Wo hat Jesus sich gegen Cannabis ausgesprochen?

„Sicher, auch wer regelmäßig trinkt, ist süchtig. Aber auch das ist kein Argument für eine Legalisierung von Cannabis nach dem Motto „Die eine Droge macht abhängig, also legalisiere ich die andere auch.“ “

Sogar das ist Quatsch. Wer regelmäßig trinkt, und das sind fast alle Deutschen, der ist sicher suchtgefährdet aber nicht automatisch süchtig. Richtig ist: JEDE Verhaltensweise die ausufert und im Übermaß betrieben wird, ist gesundheits- und suchtgefährdent. Das gilt für Shoppen, Essen, Sex, Sport, … und natürlich für jede Droge, auch für Cannabis. In Maßen genossen, kann all das aber auch legitimes Vergügen sein. Im Vergleich zu den meisten legalen, selbstgefährdenden Verhaltensweisen, ist der Cannabiskonsum allerdings niemals tötlich. Und auch hier ist der Vergleich zu Alkohol und Tabak nicht nur angebracht sondern notwendig: 74. Tausend Drogentote durch Alkohol pro Jahr in Deutschland! Null Cannabistote seit Jahrtausenden weltweit.

„Wo wäre denn die Grenze zu ziehen?“

Traurig, dass Sie da nicht selbst drauf kommen: Bei dem Gefährdungspotential für Dritte natürlich. Und auch hier müssen wir feststellen, dass das Fremdgefährsungspotential von Cannabis äußerst gering ist, während ein großer Anteil der Verkehrstoten und -verletzten, sowie der größte Teil von Gewaltdelikten, einschließlich häuslicher Gewalt, nicht im Zusammenhang mit Cannabis, sondern mit der, kulturell ach so geübten Droge Alkohol steht!

Ihre Ausführungen, Herr Spahn, sind dummdreister, substanzloser Populismus zum Schaden der Menschen.

Verärgerte Grüße,

Andreas Gerhold

[1] http://www.huffingtonpost.de/jens-spahn/sucht-kiffen-alkohol_b_7486156.html?ncid=fcbklnkdehpmg00000002

1 Kommentar zu “Ist Jesus gegen Legalisierung von Cannabis?

  1. T. Lange

    Sehr geehrter Hr. Gerhold,
    Gratulation zu dieser wirklich gelungenen Demontage aller dieser fadenscheinigen Argumente von Hr. Spahn. Ihr Statement sollte bundesweit auf jeder Titelseite gedruckt werden, ich durfte selten so einen überzeugenden, realistischen und und sachlichen Brief zu dieser Thematik lesen.
    Chapeau !!!

Schreibe einen Kommentar zu Anonymous Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert