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In Erinnerung an Achidi John († 09.12.2001)

Vor genau dreizehn Jahren starb in Hamburg der 19-jährige Afrikaner Achidi John während eines gewaltsamen Brechmitteleinsatzes. Fünf Polizisten hatten den Gefesselten zu Boden gezwungen und sich auf ihn gesetzt, während die Ärztin Dr. Ute Lockemann versuchte, eine Sonde durch die Nase einzuführen. Noch während des Eingriffs zeigte Achidi John starke Muskelkrämpfe und schrie: „I will die! I will die!“ (Ich werde sterben!). Die menschenverachtende Behandlung wurde trotzdem fortgeführt, das Brechmittel und fast ein Liter Wasser wurden in den schon reglosen Körper gepumpt. Im Beisein der Ärztin erlitt Achidi John einen Herzstillstand, der erst Minuten später bemerkt wurde. Die Reanimationsversuche blieben erfolglos. Ein Notartzt war nicht anwesend. Achidi John wurde am 12.Dezember 2001 für Tod erklärt. [1,2]

Nach Vorermittlungen schloss die Hamburger Staatsanwaltschaft ein gutes halbes Jahr später die Akte und erklärte, dass „zu keinem Zeitpunkt einen Anfangsverdacht strafbaren Verhaltens Beteiligter begründet“ gewesen sei. Weder gegen die verantwortliche Ärztin, noch gegen die beteiligten Polizeibeamten wurden je Ermittlungsverfahren, oder dienstrechtliche Maßnahmen eingeleitet. Der Anwältin der Eltern wurde sogar die Akteneinsicht verweigert. Auch nach dem Tod von Achidi wurden noch fast dreihundert Brechmitteleinsätze in Hamburg durchgeführt.

Tödliche Prohibition unter Scholz und Schill
Eingeführt wurden die Brechmitteleinsätze gegen vermeintliche Drogendealer vom damaligen Innensenator und heutigen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Die Basis des damaligen Koalitionspartners GAL (Grüne) lehnte diese Maßnahme im Rahmen eines Beschlusses des Landesausschusses zwar ab, allerdings gegen die Zustimmung der eigenen Senatoren.

Schon Anfang der 1990er Jahre hatte die Polizei solche Maßnahmen auf eigene Faust, ohne politische Rückendeckung aber teilweise mit Unterstützung von Ärtzten in Krankenhäusern, durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft bat im Rahmen einer Prüfung, ob der Brechmitteleinsatz als Teil des Ermittlungsverfahrens im Falle des Verdachts auf Drogenhandel eingeführt werden soll, den Leiter des rechtsmedizinischen Instituts, Prof. Dr. med. Klaus Püschel um seine Stellungnahme. Püschel warnte damals wegen „nicht unerheblicher Gesundheitsgefährdung“ vor dem Brechmittel-Einsatz. Auch die Hamburger Ärztekammer, das Pflegepersonal des UKE und die Betriebsgruppe ver.di (Gewerkschaft) am UKE schließen sich in einer Resolution später an.

In den folgenden fast zehn Jahren zwischen 1992 und 2001 werden in Hamburg keine Brechmitteleinsätze mehr durchgeführt, obwohl die oppositionelle CDU in der Bürgerschaft dies immer wieder forderte. Noch im Februar 2001 erklärte die Behörde für Inneres in einer Presseerklärung, Brechmitteleinsätze seien zur Überführung der Drogenhändler nicht erforderlich. Im folgenden Wahlkampf, unter dem Eindruck von Umfragen, die eine Mehrheit für CDU und Schill-Partei prognostizieren, schwenkte der rot-grüne Senat dann aber um.

Innensenator Olaf Scholz (SPD) führt im August, einen Monat vor der Wahl, Brechmitteleinsätze als reguläre Maßnahme der Strafverfolgung ein. Die Verabreichung des Brechmittels wird von Ärzten des Institutes für Rechtsmedizin im Beisein von Polizeibeamten durchgeführt. Die im September 2001 gewählte schwarz-braun-gelbe Landesregierung (CDU/Schill-Partei/FDP) führt unter dem neuen Innensenator Schill die Brechmitteleinsätze fort und erleichtertert die Bedingungen für die Polizei.

Von Schill, der schon vor seiner politischen Karriere als „Richter Gnadelos“ bekannt wurde, hatte wohl niemand ernstlich anderes erwartet. Doch auch der heutige sozialdemokratische Hamburger Bürgermeister und stellvertetende SPD-Bundesvorsitzende Olaf Scholz hat sich niemals entschuldigt oder politische Verantwortung für den Tod von Achidi übernommen. Im Gegenteil: Noch bevor die Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft eingestellt wurden, rechtfertigt Scholz die Brechmitteleinsätze auf einer Veranstaltung der Polizeigewerkschaft: „Ich halte diese Entscheidung nach wie vor für richtig. Ich sage das trotz des tragischen Todes, den einer dieser Drogenhändler im Zusammenhang mit der Vergabe eines Brechmittels erlitten hat.“ [3] Und in Hinblick auf die nächsten Bürgerschaftswahlen erklärt Scholz 2003: „Die SPD wird […] weiter konsequent gegen Kriminalität und ebenso konsequent gegen die Ursachen von Kriminalität vorgehen. Geschlossene Unterbringung für jugendliche Intensivtäter, Brechmittel zur Beweissicherung gegen Drogendealer gehören […] zu sozialdemokratischer Innenpolitik […].“ [4] Im Juli 2006 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den deutschen Brechmitteleinsatz als menschenrechtswidrig.

Trotzdem setzt die Hamburger Politik parteiübergreifend weiterhin fast ausschließlich auf das Mittel der Prohibition und verfolgt damit das unrealistische Ziel einer drogenfreien Gesellschaft. Es wird an Gesetzen festgehalten, die keinen wirkungsvollen Jugendschutz beinhalten, die tatsächliche Gefährlichkeit nicht berücksichtigen, Polizei und Gerichte überlasten und Ressourcen binden, sowie Unmengen an wirkungslos eingesetzten Steuergeldern kosten – und im Zweifelsfall eben auch Menschenleben.

Die PIRATEN Hamburg gedenken Achidi John und allen Opfern der Prohibition.

Für eine repressionsfreie, akzeptierende Drogenpolitik und ein Ende der gescheiterten und menschenverachtenden Prohibition!

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[1] http://www.taz.de/!51928/
[2] http://www.brechmitteleinsatz.de/
[3] http://www.olafscholz.hamburg/1/pages/index/p/5/795/year/2002
[4] http://www.olafscholz.hamburg/1/pages/index/p/4/116

Brechmittelgabe im Film ‚Rausch‘ von Verena Jahnke (Ausschnitt)

Foto: dapd

1 Kommentar zu “In Erinnerung an Achidi John († 09.12.2001)

  1. Präziser als „Afrika“ konntet ihr Achidi Johns Herkunft nicht eingrenzen? Kleiner Hinweis, der Mensch kam aus Nigeria.

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