(CC-BY-SA 2.0) thebadastronomer@flickr

von Julia Reda.

Am Montag, dem 24. Februar, stimmt der Industrieausschuss des Europaparlaments über die Netzneutralität ab. Im Moment sieht es danach aus, als ob die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität an den Stimmen der europäischen Liberalen (ALDE) scheitern wird. Mit der Netzneutralität steht und fällt das freie Internet.

Die Abstimmung findet am Montag statt. Jetzt heißt es, Druck auf die Abgeordneten von ALDE zu machen, die die Netzneutralität in der Abstimmung scheitern lassen wollen – insbesondere auf Jens Rohde (Koordinator von ALDE im ITRE-Ausschuss) und Guy Verhofstadt (Vorsitzender von ALDE). Mit savetheinternet.eu könnt Ihr ihnen Faxe schicken, die sie am Montagmorgen auf der Arbeit erwarten.

Netzneutralität bedeutet, dass alle Daten im Internet diskriminierungsfrei von A nach B geleitet werden – unabhängig von Herkunft, Ziel und Inhalt. Ohne Netzneutralität kann z. B. die Telekom die Schnelligkeit von Skype-Telefonaten herunterdrosseln, um selbst mehr Geld mit Anrufen zu machen, von ihren Kundinnen und Kunden zusätzliche Gebühren für die Nutzung von YouTube verlangen, oder Deals mit der Musikindustrie abschließen, dass Filesharing auf ihren Leitungen langsamer läuft als Spotify. Verletzungen der Netzneutralität behindern nicht nur die Entwicklung neuer, innovativer Geschäftsmodelle, sondern verhindern auch, dass das Internet zu einer echten Quelle der Teilhabe aller Menschen werden kann.

Das Internet hat den Gesellschaftsentwurf der Piratenpartei inspiriert, weil wir hier gelernt haben, dass aus der gleichberechtigten Kommunikation ein unendlicher Wissensschatz, kultureller Austausch über alle Landesgrenzen hinweg und eine informierte, partizipative Demokratie erwachsen kann. Aber damit es nicht jederzeit von denjenigen als Machtinstrument eingesetzt werden kann, die Kontrolle über die technische Infrastruktur haben, muss das Internet unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Das ist die größte politische Aufgabe der Piratenpartei. Die Durchsetzung der Netzneutralität ist der erste Schritt.

Mit Netzneutralitäts-Gesetzen in Europa wird es aber nicht getan sein. Das Internet prägt die gesamte Menschheit – die Minderheit der User genauso wie die Mehrheit, die über keinen Zugang zum Internet verfügt. Die technische Steuerung der Netzinfrastruktur liegt trotzdem bei einer kleinen Elite. Überall auf der Welt wird über die Konsequenzen der Snowden-Enthüllungen diskutiert. Die Überführung zentraler technischer Aufgaben auf internationale Ebene – wie etwa die Verwaltung der Top-Level-Domains wie .com oder .org, die derzeit im Auftrag der amerikanischen Regierung von der ICANN vorgenommen wird – ist eine mögliche Konsequenz. Im April findet in São Paulo auf Einladung der brasilianischen Regierung eine Konferenz zu genau diesem Zweck statt. Allerdings zeichnet sich ab, dass an die Stelle amerikanischer Internet-Governance ein »Multi-Stakeholder«-Modell treten könnte. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Internet von einer nicht demokratisch legitimierten und selbstselektiven Gruppe einzelner Regierungen, Unternehmen, Lobbyverbände und ausgewählter (wahrscheinlich nicht besonders unbequemer) NGOs regiert wird. Die Zivilgesellschaft darf sich von diesem Vorstoß nicht einlullen lassen. Was wir brauchen, sind völkerrechtlich verbindliche Verträge, die den demokratischen Einfluss aller Menschen auf die Internet-Infrastruktur und den Schutz der Menschenrechte in der digitalen Welt sicherstellen.

Denn die Frage, bei welchen Inhalten ich lande, wenn ich den Namen einer Website in meinen Browser eingebe (oder ob überhaupt welche geladen werden), ist keine Frage der Verwaltung – es ist eine Frage der Informationsfreiheit. Ob URLs nur aus lateinischen Buchstaben bestehen dürfen oder auch aus kyrillischen, ist eine Frage der Teilhabegerechtigkeit. Wenn der Zugang zu wichtigen Internetknoten von Geheimdiensten missbraucht wird, um unsere Kommunikation zu überwachen, kann die Lösung nicht wie von Merkel vorgeschlagen eine Zerschlagung des Internets in hermetisch abgeriegelte regionale Netze sein, sondern ein international verbindliches Überwachungsverbot muss her. Das Technische ist politisch.

Als Partei der digitalen Revolution müssen wir die politischen Rahmenbedingungen schaffen, damit das Internet Teilhabe und Freiheit für alle bedeuten kann. Die Parallele zu den sozialen Folgen der industriellen Revolution drängt sich auf, die gesellschaftlichen Umwälzungen des digitalen Wandels können diese aber noch deutlich übersteigen. Genau wie die sozialen Folgen der industriellen Revolution nicht allein von den Ingenieuren der Dampfmaschine gesteuert werden konnte, brauchen wir zur Emanzipation aller Menschen durch die digitale Revolution mehr als nur die Systemadministratorinnen und -administratoren dieser Welt. Dass alle Menschen ihr demokratisches Recht auf Mitgestaltung des Internets wahrnehmen können, müssen wir uns erst erkämpfen. Unser Ziel ist grenzenloses Internet. Und grenzenlos bedeutet nicht nur, dass wir jeden Winkel der Welt erreichen können, sondern dass das Internet nicht allein einer geopolitischen Elite gehört. Nicht allein den Unternehmen. Nicht allein den Regierungen. Nicht allein den Nerds. Sondern allen Menschen!

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