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Volksentscheid zum Rückkauf der Netze : soziale und ökologische Kriterien berücksichtigen

Ein Kommentar von Jörg Dürre

Gestern hat der Hamburger Senat im Rathaus das erste Ergebnis zur Umsetzung des Volksentscheids zum Rückkauf der Energienetze präsentiert. Die Hamburger Bürgerschaft hatte von den Wählern den Auftrag erhalten, die zur Grundversorgung dienenden, gut regulierten Strom- und Gasnetze, aber insbesondere das bisher unbeaufsichtigte Fernwärmenetz in die Hand
der Bürger zu holen. Präsentiert wurde als Ergebnis der Kauf des Stromnetzes und ein nur optionaler Kauf des Fernwärmenetzes, dieser aber erst 2019. Für beide Netze ist nicht etwa ein Höchstpreis verhandelt, sondern nur ein Mindestpreis festgesetzt worden.

„Wir haben im Volksentscheid die Netze in Bürgerhand geholt und nicht die Wärme- oder Stromerzeugung“, sagt Jörg Dürre, umweltpolitischer Sprecher der Piratenpartei Hamburg. „Auch wenn die Kraftwerke bisher vertraglich zu den Netzen gehörten, sollte im Sinne funktionierenden Wettbewerbs Kraftwerksleistung wie von Wedel und Tiefstack öffentlich ausgeschrieben werden. Hierbei sollten, wie beim Volksentscheid gefordert, soziale und ökologische Kriterien berücksichtigt werden.
Bewerben soll sich jeder, der für diese Aufgabe geeignet ist, städtische Unternehmen inbegriffen. Eine Vergabe darf nicht im Vorfeld, durch vertragliche Vereinbarungen, an parteifreundliche Unternehmen erfolgen.“

Zu schnell verhandelt
Anstatt die Verhandlung um die Kaufsumme von jetzt immerhin mindestens 950 Millionen Euro allein für das Fernwärmenetz ordentlich vorzubereiten, zum Beispiel durch eine Verlängerung der Verhandlungsdauer als konzessionsfreie Zeit, wie es in Berlin geschah, wurde über Nacht ein Vertrag mit dem schwedischen Atom- und Braunkohlekonzern Vattenfall zusammengebastelt. Als Eigentümer kann die Stadt Hamburg sich nun mit guten Chancen um den Betrieb des Stromnetzes bewerben. Auch der Bau des in der Stromerzeugung vermutlich unwirtschaftlichen GuD-Kraftwerks Wedel darf nun neu überdacht werden.
Dies waren die positiven Neuigkeiten.

Das Stromnetz in der Hand der Bürger war ein Minimalziel des Volksentscheids. Eigentliches Ziel war und ist die Kontrolle über die Fernwärme inklusive der Erzeugungsanlagen. Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht. Durch Volksentscheid wurde das Zieldatum auf 2015 festgelegt, nun kann dies frühestens Anfang 2019 geschehen. Eine demokratisch kontrollierte Geschäftsführung der Erzeugungsanlagen hätte schnell auf ökologische und faire gleichzeitige Erzeugung von Wärme und Strom umgestellt werden können. Ob dies geschehen wird, ist mehr als ungewiss. Ein Fernwärmenetz, das gemäß den Vorstellungen der Piratenpartei aufgebaut wird, soll wirklichen Netzcharakter haben. Das bedeutet, Netze sollen frei zugänglich sein, da sie nur so den größten Nutzen für die Gesellschaft haben.

Vertane Chancen?
Der Bürgermeister sprach neben seinen für das Fernwärmenetz verhandelten Lösungen, mit oder ohne Neubau des Kraftwerks Wedel, von einer möglichen dritten Lösung. „Das können wir noch entscheiden“, meinte Olaf Scholz. Damit hat er zwar prinzipiell recht, wir trauen es ihm nur leider nicht zu, eine solche Lösung umzusetzen. Diese dritte Möglichkeit der
Gestaltung des Fernwärmenetzes könnte gemäß den Vorstellungen der PIRATEN so aussehen:

Wir wollen ein freies Wärmenetz, in das nach festen, transparenten Regeln Energie eingespeist und durchgeleitet werden darf. Diese Regeln sollen marktkonform sein, aber auch fair und ökologisch.

Mit einem detaillierten Wärmekonzept könnte die Stadt ermitteln lassen, wie das Netz so umgebaut werden kann, sodass nicht mehr zwingend Großkraftwerke gebaut werden müssen, sondern auch viele kleine Energiepotenziale optimal genutzt werden können. Das wären beispielsweise solarthermische Anlagen, Abwärmepotenziale von Hamburger Betrieben oder geothermische Energie. Mit einem entsprechenden Gesetz könnte der Markt geregelt werden. Wenn die Stadt sich entscheidet, bevorzugt Ökoenergie in das Wärmenetz einzuspeisen und diese auch vorrangig durchzuleiten, kann dies höhere Gebühren kosten, von denen Menschen mit geringen Einkommen ganz oder teilweise befreit werden können. Solche Entscheidungen hätten deutlichen Einfluss auf den Wert des Netzes zum Optionstag.

Warum sind 950 Millionen Kaufpreis ärgerlich?
Der Senat für den Bürger interessanteste Rückkauf des Fernwärmenetzes wird ganze fünf Jahre in die Zukunft verschoben, bis 2019. Er soll also praktischerweise deutlich nach nächsten Bürgerschaftswahl 2015 verhandelt werden. Bis 2019 kann Vattenfall das Fernwärmenetz inklusive der Erzeugungsanlagen weiter nutzen und die Gewinne einstreichen. Hätte Hamburg auf Basis des alten Vertrags von 1994 auf Herausgabe des Fernwärmenetzes geklagt und gewonnen, wären die Erträge ab 2015 in
Hamburg geblieben. Dieser entgangene Gewinn muss dem Kaufpreis bei der Kaufoption eigentlich hinzugezählt werden.
Wenn die Erträge der Fernwärme hoch sind, erhöht sich auch der Gewinn für Vattenfall und somit auch der Kaufpreis. Die einzige Chance für Hamburg wäre ein Verzicht auf die verhandelte Option, beispielsweise wenn das Fernwärmenetz ganz offensichtlich weniger als 950 Millionen wert sein sollte. Damit würde jedoch der beim Volksentscheid ausgedrückte Wählerwillen unterlaufen.

Was würden wir tun?
Wir erwarten im Sinne des Bürgerentscheids einen klaren Projektleitfaden, was zur Umsetzung des Bürgerentscheids geschehen soll– und wann. Es hätten längst ein Wärmekonzept und ein entsprechendes Gesetz für Hamburg entwickelt werden müssen, schließlich wird bereits seit Jahren um die Energienetze gekämpft. Dieses Konzept ist schnellstmöglich vorzulegen, besser noch transparent zu entwickeln. Die tatsächlichen, fairen Preise für die Übernahme des Fernwärmenetzes sind durch Inaugenscheinnahme und Bewertung zu ermitteln.
Alle Gutachten müssen JETZT auf den Tisch.

Jörg Dürre ist Sprecher der Arbeitsgruppe Umwelt der Piratenpartei Hamburg

1 Kommentar zu “Volksentscheid zum Rückkauf der Netze : soziale und ökologische Kriterien berücksichtigen

  1. Gut gesprochen, Jörg!

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