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Macht der Medien – Streitgespräch auf dem Kirchentag

Ein Gastbeitrag von Philipp Michels

Unter dem Titel „Ohnmächtige Politik – mächtiger Journalismus?“ lud der Deutsche Evangelische Kirchentag am Donnerstag in die Messehallen. Auf dem Podium sollten der stellvertretende Chefredakteur der Zeit Bernd Ulrich und der Spitzenkandidat der Hamburger Piraten Sebastian Seeger erörtern, wie es um die mediale Macht in Deutschland bestellt ist und wie soziale Medien unseren öffentlichen Diskurs verändert haben. Ungefähr 1.500 Interessierte verfolgten den sehr unterhaltsamen Schlagabtausch auf der Bühne.

Bernd Ulrich konnte in einem kurzen Impulsvortrag einige gewagte Thesen aufwerfen, die von Sebastian Seeger, der kurzfristig für Martin Delius eingesprungen war, dann entschärft wurden. Der Journalist stellte seine Zunft zunächst als Leidtragende der neuen Transparenzkultur dar, da sie durch ihre professionelle Sichtbarkeit mit Klarnamen einer diffusen, anonymen Shitstormkultur gegenüberstehe. Eine „Kultur des Verdachts“ treffe seine Kollegen und verunsichere die Medienschaffenden, die durch die „Todesangst der Verlage“ jedes kleine Feedback der Leser überbewerteten. Der Rückkanal und die Beteiligung breiterer Massen am Nachrichtengeschehen führe zu einer „Internethysterie“, die laut Ulrich entpolitisiere und damit zur geringen Wahlbeteiligung in Deutschland beitrage. Eine „Pornografisierung des öffentlichen Diskurses“ und der nach Ulrich zwangsläufige Hass entfesselter Öffentlichkeiten mache Journalismus wieder wichtig. Er wolle als Chefredakteur der Zeit zwar keine Gatekeeper-Funktion mehr einnehmen, sehe den Mehrwert seiner Arbeit aber in der Filterung von Nachrichtenströmen und somit wieder im Agenda-Setting. Die Rolle der Verlage als „Oberlehrer der Kultur“ sei jedoch vorbei und er wünsche sich grundsätzlich eine „Ermächtigung des Menschen“ in unserer Gesellschaft. Im Vergleich zu Ländern wie Italien oder Frankreich, in denen Medien einzelnen Mogulen oder gar Rüstungskonzernen gehören, sei die Medienlandschaft in Deutschland weiterhin sehr unabhängig und pflege ein sehr hohes journalistisches Niveau.

Besonders bei der These eines unabhängigen Qualitätsjournalismus in Deutschland kam im Publikum Unmut auf. Seeger stellte in seiner Antwort klar, dass auch in Deutschland viele Medienhäuser weiterhin in wenigen Händen lägen und der politische Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie z.B. beim ZDF ungebrochen sei. Auch eine Opferrolle als unschuldig Getriebene, die Ulrich für Journalisten und Politiker in einer offeneren Medienlandschaft bemühte, könne er nicht folgen. Im Gegenteil: Der Druck auf die klassischen Akteure des politischen Diskurses sei wünschenswert und richtig und kein Effekt sozialer Medien und hasserfüllter Nicht-Journalisten. Eine Beschleunigung der eigenen Lebenswelt stelle nicht nur für einzelne Gruppen, sondern für jeden Staatsbürger eine große Herausforderung dar. Er halte hierbei die Medienhäuser für professionell genug, mit dieser Situation umzugehen und zudem auch ihre Geschäftsmodelle den hochvernetzten Öffentlichkeiten anzupassen. Beim Thema Shitstorm müssten in der Tat alle Beteiligten dazulernen und im Umgang miteinander an sich arbeiten.

Auf die Frage der Moderatorin nach einem konkreten Verhaltenskodex bei den Piraten verwies Seeger auf die Schulungen der Partei, um Neulinge in die verschiedenen Internet-Tools einzuführen und früh Medienkompetenz aufzubauen. Auch gebe es längst eine interne Diskussion über einen anderen Umgang miteinander, beispielsweise über „Candystorms“ als bewusstem Gegenpart zu Shitstorms. Hier wurde Bernd Ulrich nun etwas persönlicher: Ihm sei der Ausblick des Spitzenkandidaten zu rosig. Immerhin habe sich die Piratenpartei durch offene Härte gegenüber Vorständen und Einzelpersonen und durch eine zügellose Shitstormkultur oft genug selbst zerlegt. Dem wollte Sebastian nicht widersprechen, verwies jedoch darauf, dass auch die sehr boulevardeske Berichterstattung der Medien – z.B. über Sandalen eines politischen Geschäftsführers – die unsachliche Schärfe im konkreten Diskurs nicht reduziere. Es gebe zudem ähnliche Konflikte und Hässlichkeiten auch in anderen Parteien, nur seien diese eben nicht transparent und sichtbar, sondern würden schlicht in zahlreichen Hinterzimmern ausgetragen. Der Piratenpartei könne man bei ihren Auseinandersetzungen immerhin zusehen. Dies sei vielleicht nicht klug, aber dafür ehrlich.

2 Kommentare zu “Macht der Medien – Streitgespräch auf dem Kirchentag

  1. cosinus

    Super Beitrag!
    Vielen Dank für die Zusammenfassung.

  2. Pingback: Trollfunk Magazin 015: Ereignisreiche Wochen | Piratenpartei Hamburg

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