Aktuell Bildung

Schon wieder: eine neue Bildungsstudie

… und zwar eine die zusammenfasst, was eigentlich schon längst jeder – durch vorhergehende Studien – wissen sollte: Deutschland nimmt bei der Abwesenheit von Bildungsgerechtigkeit einen traurigen Platz ganz weit oben ein. Diesmal stammt das Gutachten von der Bertelsmann-Stiftung, die normalerweise nicht gerade als Hort der Progressivität bekannt ist, und diese Studie stellt dem deutschen Schulwesen ein vernichtendes Zeugnis aus.

Kaum ein Schulsystem ist so ungerecht wie unseres, und nirgendwo wird es Kindern aus sogenannten „bildungsfernen“ Schichten so schwergemacht, ein Gymnasium zu besuchen. Auch für den Wechsel zwischen den Schultypen gilt nach wie vor: Nach „unten“ geht es schnell, nach „oben“ eigentlich gar nicht.
Nun wird in den meisten deutschen Bundesländern das dreigliedrige Bildungssystem mit Zähnen und Klauen verteidigt. Nicht nur von Eltern, deren Kinder ein Gymnasium besuchen oder für die dies angedacht ist, sondern auch von der Politik.

Gerade für letztere ist dies eine mutige Position, wird ihr doch mit einförmiger Regelmäßigkeit bescheinigt, dass sie falsch ist und nicht geeignet, eine Lösung des Problems herbeizuführen, das mangelnde gesellschaftliche Teilhabe wegen fehlender Bildungsgerechtigkeit heißt. Dieses Beharren auf der deutschen Dreigliedrigkeit birgt ein gewisses Risiko: Jugendliche, die ohne Abschluss aus der Schule entlassen werden, erfüllen die Mindestvoraussetzung für eine berufliche Ausbildung nicht und fallen der staatlichen Fürsorge anheim. Dasselbe gilt praktisch auch für Schüler mit Hauptschulabschluss. Für diese Menschen muss die staatlich verordnete Prämisse „Fördern und fordern“ wie ein Hohn wirken.

Vor Einführung der Stadtteilschule verließen in Hamburg jährlich fast neun Prozent aller Schüler die Schule ohne Hauptschulabschluss, was der Zahl der Einwohner einer kleineren Kleinstadt entspricht. Dies kann sich kein moderner Staat leisten.

Hamburg hat nun bei der 2010 in Kraft getretenen Schulreform Haupt- und Realschulen zu Stadtteilschulen mit Option auf Erwerb der allgemeinen Hochschulreife zusammengefasst, was sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung war. Dennoch wurden diese beiden Schultypen nicht ersetzt, sondern beibehalten, während Gymnasien parallel zur Stadtteilschule weiterhin existieren, als eine Art Insel der Seligen, die (abhängig vom Standort) weitgehend frei von Schülern mit Migrationshintergrund, aus bildungsfernen Schichten oder Inklusionsschülern sind.

Wie weit dieses Hamburger Modell sich als tragfähig erweist, ist noch nicht absehbar, auch wenn sich erste Probleme bereits zeigen (starkes Leistungsgefälle zwischen den Schulen, abhängig von deren Standort, unzureichende Ausstattung für die Inklusion von Förder- und Sonderschülern, mangelhafte Deutschkenntnisse der Schüler unabhängig von deren Herkunft etc.). Mittelfristig könnte das Hamburger System in zwei Teile zerfallen: den Stadtteilschulen als einer Art Großrestschulen und den Gymnasien als vom Staat ausgerichtetes Wunschkonzert für die, die sich Elitenförderung auf die Fahnen geschrieben haben.

Wir sollten angesichts des Versagens unseres Bildungssystems das gesamte Schulswesen auf den Prüfstand stellen und neu überdenken, anstatt die Dreigliedrigkeit als für alle Zeiten gegeben hinzunehmen. Diese erweist sich  – zumindest in der bestehenden Form – als untauglich für eine moderne Gesellschaft, denn für die PIRATEN ist Bildung der Schlüssel für eine gesellschaftliche Teilhabe, von der immer mehr Menschen in diesem Land ausgeschlossen sind.

Wir wünschen uns, dass über Schule endlich ergebnisoffen diskutiert und nach Lösungen gesucht wird, die den bestehenden Problemen wirksam begegnen. Hierzu haben wir die AG Bildung gegründet, die allen Interessierten offensteht.

13 Kommentare zu “Schon wieder: eine neue Bildungsstudie

  1. Ich lese immer nur „Staat“ und „System. Wo bleibt die Verantwortung der Eltern?
    http://www.welt.de/politik/deutschland/article13640770/Warum-Migrantenkinder-in-der-Schule-haeufig-versagen.html

    • Anne Alter

      Selbstverständlich haben Eltern die Erziehungsverantwortung, doch wenn sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht bereit oder imstande sind, diese in der hier notwendigen Form wahrzunehmen, wäre es katastrophal, wenn die Gesellschaft dies als gegeben hinnimmt und die Angelegenheit damit auf sich beruhen lässt. Zu viele Gruppen wären betroffen: die sogenannten bildungsfernen Schichten, Alleinerziehende oder Paare, die auf Vollzeittätigkeiten angewiesen sind, Familien, in denen kein oder nur fehlerhaft Deutsch gesprochen wird … die Liste ließe sich fortsetzen.

  2. Thomas Michel

    Selbstverständlich sind auch Eltern verantwortlich, wir verstehen Bildung und Sicherstellung von Teilhabe aber auch als gesellschaftliche Aufgabe, da sind wir alle verantwortlich.

  3. Das bedeutet, Eltern haben gar nicht das Recht, über die Bildung ihrer Kinder zu entscheiden? Der gesellschaftliche Konsens sagt „Abi und Uni müssen sein“ und jegliche Abweichung rechtfertigt dann staatliche Intervention? Ich dachte, Ihr seid eine freiheitsliebende Partei. Das würde aber bedeuten, dass man zwar Möglichkeiten schafft, es aber auch akzeptiert, wenn jemand die nicht nutzen will. Und auch wenn es Euch nicht passt: Für Kinder sind in erster Linie Eltern verantwortlich. Ob nun die Abwesenheit von Abitur und Geigenunterricht bereits bedeutet, dass der Staat „helfend“ eingreifen muss, wage ich zu bezweifeln. „Bildungsferne“ (welch arrogantes Wort“ ist schliesslich keine Misshandlung.

    • Anne Alter

      Huch? Wo steht denn, dass alle Abitur machen müssen? Die Piratenpartei setzt sich dafür ein, dass alle Kinder/Jugendlichen nach ihren Möglichkeiten optimal gefördert werden sollen, und das ist bei dem jetzigen Schulsystem, wie nun die gefühlt 500ste Studie besagt, nun mal nicht gegeben.
      Da wir den Begriff der Bildungsferne selbst kritisch sehen (immerhin ist das Problem ja hausgemacht), habe ich ein „sogenannt“ davorgesetzt.

  4. Pingback: Neue Bildungsstudie: Ein Ländervergleich | Piratenpartei Karlsruhe Land

  5. Na dann lies mal den Artikel über die Studie. Da geht es u.a. um Abi und Gymnasialbesuch. Und bei dem Gerede über Förderung fehlt mir vor lauter optimaler Ausnutzung der Möglichkeiten der Respekt vor den Entscheidungen und individuellen Lebensmodellen von Eltern und ihren Kindern. Merkt Ihr nicht, dass sich euere „Ideen“ und Forderungen kaum von denen von Sozis oder dem Sozialflügel der Union unterscheiden? Kinder sind da Human Resources, deren Potential optimal und effizient der Gesellschaft zugänglich gemacht werden soll, notfalls gegen den Willen der Eltern. Das ist der Kern dieses Geredes, unterschiedliche Parteien formulieren es nur unterschiedlich.

    • Anne Alter

      Eltern sollten nicht in einem Maße über den Bildungsweg ihrer Kinder bestimmen, sodass dieses ihr gesamtes Leben prägt (immerhin sind es ja nicht die Eltern, denen Chancen verbaut werden, sondern die Kinder). Im Zentrum einer Förderung müssen demgemäß nicht der Elternwunsch, sondern das Kind mit seinen Talenten und Möglichkeiten stehen, wie immer diese im Einzelfall geartet sind, gerade damit es sein eigenes individuelles Lebensmodell entwickeln und leben kann. Zudem sehen wir Bildung nicht primär als Werkzeug an, um Menschen für einen wie auch immer gearteten Arbeitsmarkt fit zu machen.
      Selbstverständlich ist nicht jeder geeignet, zu studieren, aber eine Schulausbildung ist gewiss nicht ,dazu da, auf fast schon ständestaatliche Weise soziale Gegebenheiten zu zementieren.
      Falls Sie meinen, dass in Hamburg jährlich 5000 Menschen ohne Abschluss die Schule verlassen, um ihren individuellen Lebensentwurf zu zelebrieren und den Willen der Eltern zu erfüllen, zeugt das von einer erschreckenden Unkenntnis der Situation. Der Wähler wird sicherlich entzückt sein, dies zu vernehmen. Viel Spaß bei der Vermittlung dieser hochinteressanten Annahme.
      Ich muss ferner gestehen, dass das Wort „Sozis“ nicht zu meinem Sprachgebrauch gehört, um einen politischen Konkurrenten zu betiteln.

  6. Sozis ist eine Abkürzung für Sozialisten und was Wählern vermittelbar ist, ist nur dann relevant, wenn es primär ums Wahlen gewinnen geht. Eltern die Verantwortung wegzunehmen (und Verantwortung bedeutet auch immer die Freiheit, in einem gewissen Rahmen das „Falsche“ zu tun) um Kinder vor ihren Eltern zu schützen ist, wenn es nicht gerade um Misshandlung etc geht, ein totalitärer Ansatz, der die Gesellschaft über das Individuum stellt. Da missachtest Du komplett und ausdrücklich das Recht der Eltern, den Lebensweg ihrer Kinder mitzubestimmen. Wie sich Eltern da entscheiden mag einem nicht immer schmecken, aber wenn der Staat die Hoheit über die Kinderbetten übernimmt, wird dadurch niemand glücklicher oder besser gebildet, das lehrt uns die Vergangenheit.

    • Anne Alter

      Den Wunsch nach einem Schulsystem, das alle Kinder/Jugendlichen besser fördert, als es das momentane tut, als totalitär zu bezeichnen, ist extrem populistisch und zeigt eine bemerkenswerte Geisteshaltung, die sehr aufschlussreich ist. Sie hat nichts damit zu tun, Kinder vor ihren Eltern zu schützen, sondern eher damit, die Familien vor einer Vorverurteilung qua Herkunft durch das System. Viele Eltern wünschen sich für ihre Kinder bessere Möglichkeiten und Zukunftsperspektiven, als das Schulsystem ihnen momentan bietet, und dies zu negieren, ist fast schon menschenverachtend.

      Selbstverständlich fließt der Lebensentwurf der Eltern in die Erziehung des Kindes ein, aber ein „gewisser Rahmen“ ist überschritten, wenn er dies über die Mündigkeit des Kindes hinweg und bis an sein Lebensende tut (kommen Sie mir nicht mit dem zweiten und weiteren Bildungswegen), und das ist durch eine frühe Entscheidung über die Schulform und der Vorfestlegung qua System in unzumutbarer Weise gegeben. Im Zentrum der schulischen Bildungspolitik muss immer das Kind stehen, nicht seine Erziehungsberechtigten und schon gar nicht irgendwelche Vertreter von Partikularinteressen.

  7. Anne Alter

    Ganz vergessen: Schön die Godwin- und DDR-Keule stecken lassen, das zieht hier nicht bei 5000 Abgängern ohne Abschluss pro Jahr.

  8. „Den Wunsch nach einem Schulsystem, das alle Kinder/Jugendlichen besser fördert, als es das momentane tut, als totalitär zu bezeichnen“ …. ich sehe hier niemanden, der das getan hat.
    Ein solcher Wunsch ist legitim und auch ich wünsche mir für meine Kinder (0,5 und fast 3) bessere Schulen, wenn sie soweit sind.
    Mir geht es darum, dass Kinder in erster Linie in der Obhut und Verantwortung der Eltern stehen, ob das Ergebnis nun den „Sozialpolitikern“ oder irgendeinem gesellschaftlichen Konsens passt oder nicht.
    Das Ziel sollte deshalb sein, Möglichkeiten zu schaffen und Hürden zu beseitigen, damit Eltern die Möglichkeit haben, ihren Kindern die bestmögliche Schulbildung zu bieten. Aber wie überall gilt, dass man Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit scharf trennen muss. Sätze wie „Wir müssen jedes Kind mitnehmen“, die man oft hört, erinnern mich immer an den schlechten Witz mit der Oma, die vom Pfadfinder über die Strasse gebracht wird, obwohl sie nicht über die Strasse will.
    Und wenn es um Bildung geht, zählt der Wille der Eltern, ab einem gewissen Alter auch der des Kindes. Punkt.
    Der Staat (du nennst ihn immer so schön „Gesellschaft“) hat nicht das Recht, aus vermeintlich „suboptimalen“ Entscheidungen von Eltern eine Notsituation herzuleiten, die ihn zum Eingriff in das Elternrecht ermächtigt. Nochmal: Kinder sind in erster Linie nicht Gegenstand staatlicher Politik sondern elterlicher Erziehung. Das nennt man Subsidiarität.

    Was ich als Totalitär bezeichne, ist eine Mentalität nach dem Motto „Eltern haben Rechte, aber nur solange sie genau so handeln, wie es sich der Staat wünscht“. Solche Rechte sind keine Rechte. Eine solche Eigenverantwortung ist keine Eigenverantwortung und eine solche Freiheit ist keine Freiheit.

  9. Anne Alter

    So langsam frage ich mich, was Sie eigentlich wollen. In dem Artikel steht, dass man über das Schulsystem ergebnisoffen nachdenken muss, wenn es seinen Zweck offenbar nicht erfüllt. Nicht mehr und nicht weniger. Es sind übrigens nie die Eltern, die ihren Kindern eine Schulbildung bieten (zumindest nicht hierzulande), sondern die Schule.

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